Das fragt Dagmar Seidel in der Meridian-Ausgabe 3/20. Sie erstellt als erfahrene Pferde-Kennerin Tier-Horoskope und meint sinngemäß: Ein Pferd ist mehr als nur ein Pferd, es ist eine eigene Meinung auf vier Beinen.
Während des Lesens erinnere ich mich an richtige Sommer und meine Erlebnisse mit Pferden.. und Hühnern.
In den frühen 1980iger Jahren joggte ich selbstvergessen am Wegesrand eines weitläufigen Pferdeareals in der norddeutschen Tiefebene. Irgendwann lechzte ich nach Wasser, pausierte auf dem Balken eines Zaungatters und überflog die Landschaft mit dem Weitblick eines Kurzsichtigen. Dabei beobachtete ich eine Pferdeherde, die ungefähr 200 Meter entfernt friedlich graste. Ich wusste, hier werden Pferde über Sommer bis zum Spätherbst ausgelagert. Es sind Rennpferde, die altersbedingt aussortiert wurden. Dennoch waren sie im besten Pferdealter, jedoch gemäß strengen Pferdesportregeln nicht mehr verwendbar. Sie hatten nichts anderes gelernt als zu traben oder zu galoppieren, ohne individuellen Bezug zu Menschen. Mit ihren sehnig-schlanken Körpern verhielten sie sich noch ungebändigt bis wild. Nach strenger Trainingsquarantäne mit vielen Einzelboxen nebeneinander durften sie sich während ihrer letzten Lebensmonate wieder an ihr Herdenbewußtsein erinnern und in wenigen Wochen herrschten Rangordnungen als wäre Ostfriesland ein riesiges Steppen-Areal in Nevada.
Ich saß da nun ohne Gras im Mund und dann trat plötzlich die Magie einer Begegnung in mein Leben. Während circa 20 Stuten mich ignorierten, hob plötzlich ein Pferd den Kopf und schaute lange zu mir rüber. Ich kannte das Ignoranzverhalten von grasenden Pferden. Nun schlichen noch andere Gedanken in meinen Kopf ....komm doch mal her, wenn du schon zu mir rüber schaust. Aber das Pferd graste weiter. War ja klar. Und dann kam es, verließ die Herde und schritt mit entschlossenen Hufen auf mich zu. Wie hypnotisiert schaute ich auf diesen geschmeidig-eleganten Pferdekörper. Knapp zwanzig Meter vor mir blieb das Pferd plötzlich stehen, schaute desinteressiert herum und begann scheinbar gleichgültig wieder zu grasen. Es war hellbraun und hochgewachsen. Pferdenarren wissen, was ich meine.
Ein Pferd zwischen seiner Herde und dem trägen Zaun-Zausel . Ich spürte ein Deja vu. Plötzlich lief ein Erinnerungsfilm in mir ab. Verwirrte Gedanken über Reinkarnation und Karma irrlichtierten in meinem Kopf als wäre ich einst ein Trapper in der Gegend von Nebraska. Ich riss mich räuspernd zusammen, und nun kam das Pferd in gemächlich-stolzen Schritten an das Gatter, als würde es sagen: Du hast nun lange auf mich gewartet, soll ich mit den Ohren spielen, mit den Hufen scharren und Staub aufwirbeln oder durch meine Nüstern schnauben? Zucker hast du ja ohnehin nicht bei dir?
Ich darf verraten: Das war der Beginn einer Freundschaft in Pferde-Freiheit. Wildfire flüsterte es in mir von irgendwoher und ich sprach den Namen laut aus und die Stute schnaubte zustimmend und nickte mit dem Kopf. Namen haben ihre Geheimnisse und ich ahnte dennoch, ab Spätherbst wird alles wieder vorbei sein. Das Fell der Stute hatte einige Verletzungsnarben, die aber gut verheilt waren. Die Pferdesport-Industrie hinterlässt Spuren.
Wir trafen uns nicht jeden Tag, aber wenn ich in größeren Zeitabständen vorbei joggte, kam sie inzwischen wie selbstverständlich heran getrabt. Ich musste sie nicht aus der Herde locken mit irgendwelchen Schleimereien wie, du bist noch immer die Diana des Traberspitzensports, usw.
Vereinzelt hoben einige Pferde in der Herde kurz den Kopf und sie wußten, da trabt unsere Schöne hin zu ihrem Pferdeastrologen am Zaungatter und spricht mit fliegenvertreibenden Schweif über ihre nächtlichen Beobachtungen des Sternenhimmels. Ja, ich redete sanft auf sie ein, über ihre Geburtssonne irgendwo zwischen Zwillinge- und Krebzeichen. Sie nickte jedes Mal verständnisvoll und das Ebertin-KdG-Lexikon konnte ich im Rucksack lassen.
Zwillinghaft war ihre wachsames Beobachten und ihre Beweglichkeit, alles an ihr war Sommer.
Summten abends die Mückenschwärme, trabte sie mit der Herde über das Weideareal immer schneller ins wildfeurige Galoppieren. Mitunter kam sie nochmal verschwitzt zu mir an den Zaun und spielte mit den Ohren. Ihre Flankenmuskeln zuckten. Das ist ihre sensible und hellhörige Krebsseite als Flucht-Tier. Wildfire verstand die Zwischentöne meiner Worte. Ganz sicher. Sie antwortete stupsend und nannte mich Perseidenfänger, wenn wir gemeinsam den nächtlichen Sternenhimmel betrachteten und ich die schwarzen Fliegen von ihrem edlen Haupte fernhielt.
Eines Tages zog ein kleiner internationaler Wanderzirkus vorbei und endlich konnten die Zirkustiere für kurze Zeit etwas Freiheit genießen. Raus aus dem Zwangskorsett des Tiertransports und dem Kreiselrennen in der Zirkusmanege.
Wie befreit und außer Rand und Band sprangen flitzige Libizzaner herum. Ein blondmähniger, rotbrauner schwedischer Kaltblüter stand stoisch da, wie aus Holz geschnitzt. Ein großer Pferdepulk traf sich immer wieder am Grenzzaun der beiden Weiden und die Pferdeschweife bewegten sich im Rhytmus der internationalen Pferdekommunikation. Wildfire spürte offenbar eine nie zuvor gekannte Schütze-Sehnsucht. Für sie war nur noch Mundanastrologie angesagt. Wann fährt die nächste Pferdetransport-Fähre nach Skandinavien? Dabei kein Jag- elsker- dig- Blick zu mir, dem Pferdeflüsterer ganz hinten am Pferdegatter. Pferde können doch schnell vergessen, wenn sie wollen. Ablenkung war angesagt.
Also blieb mir nichts anderes übrig als ein Mikrofon zu ergreifen. Dazu spielte die Zirkus-Panorama-Band im Hintergrund. Sogar Fischreiher, mit kalten Füßen einbeinig in der Pferdetränke stehend, fühlten sich zum eleganten Tanze animiert, als wären sie plötzlich Flamingos.
Der Animal-Globalismus war aber nach einer Woche vorbei und es kehrte wieder Ruhe ein in der norddeutschen Tiefebene. Besonders Zwillinge nutzen kurze Veränderungen gerne mit neuer Community für gute Zwecke.
So brachte Wildfire ihre Freundin mit ans Gattertor, eine Schimmelstute. Die wirkte gleichmütiger, kam langsamer daher getrottet und benutzte meine Schulter als Kopfablage. Du bist ganz sicher eine Krebsin und hast schwere Steinbock-Gedanken im Kopf, erklärte ich ihr. Dabei schaute ich augenzwinkernd zu Wildfire rüber, die uns ohne Eifersucht neugierig beobachtete. Pferdeaugenblicke sind Tore zur Ewigkeit.
Mensch und Pferd unterm nächtlichen Sternenhimmel, das hat Tiefe, besonders, wenn die Nebelschwaden den Spätherbst ankündigten und damit auch unseren Abschied. Die Pferdestallungen waren über 50 Kilometer entfernt und die Schlachthäuser?
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Einige Jahrzehnte später. Die norddeutsche Tiefebene vertrocknet immer mehr zu einer Steppenoase, auf der kein Grashalm neben dem anderen wächst. Ich jogge trotzdem auch an heißen Tagen und da lief mir Henni über den Weg. Wir lernten uns kennen, als ich ihr ein verlorenes Mais-Korn vor die Füße warf. Seitdem legt sie mir jeden morgen ein Frühstücks-Ei. Also, wenn ich es finde, denn sie legt ihre Eier gerne in fremde Nester oder sonst wohin, wie ein Kuckuck. Henni ist ein wildes Huhn und verließ wahrscheinlich im Spätsommer ihre Eierschalen. Viel zu spät, um von irgendwelchen Hühnerhaufen anerkannt zu werden und als Löwezeichen-Geborene will sie sich keinem Herrscher-Hahn unterwerfen, der dann verzweifelt bis zur Erschöpfung hinter ihr her laufen muß und dem dann keine Kraft mehr zum morgendlichen Krähen bleibt. Menschen und Tiere in den Dörfern verschlafen deshalb die Melkzeit und auch das allgemeine Eierlegen verspätet sich, weil die Hennen den Weckrufen ihres Herrn nicht vernehmen. Wie überall auf der Welt traten auch unter norddeutschen Hühnervölkern sogar Revolutionen auf. Jedenfalls da wo Henni herumgackerte.
Daher tauchte neulich diese Staubwolke in der Ferne auf. Mit Unterbrechung kam sie näher und materialisierte sich als unfrisierte Vespa und unserer Landwirtschaftsministerin.
Puh, mein lieber Mann, dass war knapp. Ein einziges Landei liegt auf der Straße. Ich fahre drüber und fliege in den Straßengraben. Ist ja noch gut gegangen aber das Ei kann nur diese Henne auf die Straße gelegt haben. Ich sage immer, Freilauf-Hühner sind oft orientierungslos, unberechenbar und gehören in den Stall. Um das zu klären bin ich hier und habe die Spiegelredaktion mitgebracht.
Und ich habe extra wegen Henni einen Hühnerhof -Therapeuten einfliegen lassen, Frau Ministerin. Wo sehen sie hier eine Revolution?
Ach, diese amerikanischen Troubadour-Sozialisten mit ihren Transgender-Multikulti-Programmen. Schauen sie doch hin, eine Zumutung für jede katholische Mädchenschule. Da koaliert jeder mit jedem, oder wie das heißt. Nur gut, dass die Kanzlerin noch da ist.
Am liebsten sehe ich das Hennenvolk auf Hühnerstangen eng beieinander sitzend in der Legebatterie. Ohne je einen Macho-Hahn gesehen zu haben flutschen die Eier ganz entspannt auf Transportbänder zwecks industrieller Sofortverwertung. Wie in einem Friseursalon sitzen die Hühner beieinander und gackern über die Vorteile der Bodenhaltung und den Methoden der schmerzlosen Federpflege.
Huch, da wird mir schon ganz hitzig! Als Waldministerin liebe ich den deutschen Wald und nutze ihn gerne zur Abkühlung und zum Philosophieren.
Und jetzt mal ganz ehrlich, liebe Leute, wir wissen ja immer noch nicht wer und was zuerst da war. Das Huhn, der Hahn oder das Ei, nicht wahr! So lange wir das nicht klären wollen, legen wir uns immer neue Kriseneier in die Nester des Lebens und es gibt kein Herausschlüpfen, bevor die Zeit reif ist.
APZ-Forum
Thema drucken
14.08.2020 22:52 (zuletzt bearbeitet: 15.08.2020 12:01)
Antworten